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RA Frenger

Bundestag: GroKo verabschiedet „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“

VON RA Frenger 26. Juni 2021

Wer beim Zeitungslesen genau hinguckt, hat es mitbekommen: 

Die GroKo hat zum Abschluss der Legislatur flink einen strafprozessualen Hammer durch den Bundestag gejagt, wobei der Hammerschlag und seine Konsequenzen im ...

Wer beim Zeitungslesen genau hinguckt, hat es mitbekommen: 

Die GroKo hat zum Abschluss der Legislatur flink einen strafprozessualen Hammer durch den Bundestag gejagt, wobei der Hammerschlag und seine Konsequenzen im Post-Corona-EM-Deutschland kaum Gehör finden. 

„Ne bis in idem“ - das Doppelbestrafungsverbot - ist, sollte das Gesetz durch Bundesrat und Bundespräsident genehmigt werden, für Beschuldigte eines Mordes faktisch abgeschafft worden. 

Künftig kann, wer vom Mordvorwurf rechtskräftig freigesprochen wurde, beim Vorliegen „neuer Tatsachen oder Beweismittel“ ein zweites Mal, ja auch ein drittes, viertes und fünftes (…) Mal, wegen derselben Tat angeklagt werden. 

Das Gesetz soll nach den Worten seiner Initiatoren eine Wiederaufnahme im Einzelfall zulassen, wenn „ein Festhalten an der Rechtskraft des freisprechenden Urteils zu - gemessen an der materiellen Gerechtigkeit - schlechterdings unerträglichen Ergebnissen führen würde“. 

Die Politik schafft damit ein neues Kriterium der „Unerträglichkeit“, welches in einer Gesetzesbegründung nicht nur Fehl am Platze, sondern gefährlich für den gesamten Rechtsstaat ist. 

Denn Unerträglichkeit lässt sich weit fassen. Unerträglich ist vieles und wird in Zukunft vieles sein. Wer vermag heute abzusehen, welche Taten die nächste Koalition unerträglich findet? Warum sollten die Wiederaufnahmemöglichkeiten auf unverjährbare Taten beschränkt bleiben? „Ist unser Leid nicht ebenfalls unerträglich?“, werden (überlebende) Opfer schwerster Gewalttaten berechtigterweise fragen. 

Das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ macht damit einen brandgefährlichen ersten Schritt, zur Abschaffung eines elementaren Grundsatzes unserer Verfassung; eines Grundsatzes der übrigens nicht von den Müttern und Vätern unseres Grundgesetzes ersonnen, sondern als lateinischer Rechtsgrundsatz in zivilisierten Gesellschaften rund 2000 Jahre lang angewandt wurde. 

„Ne bis in idem“ schafft Rechtsfrieden und garantiert so Rechtsstaatlichkeit - und beugt der Willkür und Despotie vor. 

In der StPO dient der Grundsatz maßgeblich dem Rechtsfrieden des freigesprochenen Angeklagten. Wiederaufnahmen zuungunsten eines Freigesprochenen sind bisher zwar in begrenzten Fällen möglich, jedoch setzen sie alle eine rechtswidrige Beeinflussung des früheren Verfahrens zugunsten des (damaligen) Angeklagten - etwa durch eine vorsätzliche Täuschung - voraus. 

Das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ schafft hingegen ein Novum: Bestätigt sich ein Mordvorwurf in der Hauptverhandlung nicht, gibt es nunmehr grundsätzlich nur einen Freispruch unter Vorbehalt. Der Freigesprochene muss also sein Leben lang damit leben, dass neue - möglicherweise falsche - Beweismittel gegen ihn vorgebracht werden. 

Man nehme nun also an, Angeklagter A wird in 2022 vom Vorwurf des Mordes an B freigesprochen. 2042 stehen aufgrund einer neuartigen Methode neue Beweismittel für die Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung. 

Wie soll A sich nun verteidigen? Wie soll er bzw. seine Verteidigung nach zwanzig Jahren Entlastendes ermitteln? Die Verteidigung dürfte aussichtslos, eine Verurteilung sicher sein.

Und auch, wenn es nicht zu einer neuen Anklage kommt: 

Der Makel, den das Ansehen des Angeklagten durch den gegen ihn gehaltenen Mordprozess bekommen hat, kann nicht länger durch einen rechtskräftigen, vollumfänglichen Freispruch beseitigt werden. 

Man könnte sagen: Er verjährt nicht. 

Diese Konsequenzen, die der Freigesprochene sein Lebtag zu tragen hat, sind wahrhaft unerträglich. Und eines Rechtsstaats nicht würdig.